Hühner und Religionskritik

 

Die ersten Kurse beginnen und sie sind  – es lässt sich nicht anders sagen – erstaunlich! Zum Beispiel: “African Religions in the Americas”

Nach einer Vorstellungsrunde sehen wir einen 10minütigen Film über Massentierhaltung – die schrecklichen Bedingungen unter denen Hühner in den USA aufgezogen, gehalten und schliesslich abgeschlachtet werden (unterscheidet sich sicherlich nicht wesentlich von Deutschland)

Hm, what the heck hat das mit dem Kursthema zu tun? frage ich mich, während ich diese bedrückenden Bilder sehe. Nachdem der Film beendet ist, Aufteilung in 4er Gruppen und wir bekommen steile religionssoziologische Thesen vorgelegt. Frage an die Gruppen: Was haben die Thesen und der Film miteinander zu tun? –  ??????

Die dominante Kultur kann danach handeln: es ist legal, Hühner auf so tierquälerische Weise zu halten; täglich  “dürfen” Millionen von Hühnern so geschlachtet  werden.  Kommt eine inferiore Kultur (z.B. ein Vodoo-Kult) auf die Idee , ein Huhn für ein Opferritual “unsachgemäss” zu schlachten, ergeht in den USA ein Gesetz, dass das verbietet. Das ist illegal.

Das nenne ich  eine kreative, eindrückliche Einführung ins Thema!

Es wird deutlich: interreligious engagement ist nicht eine akademische Veranstaltung, wo man unterschiedliche Glaubensinhalte zur Kenntnis nimmt und verschiedene Traditionen kennen lernt (dialogue of faith), sondern interreligious engagement ist ein politisches Konzept,  hat einen herrschaftskritischen Anspruch, nimmt kulturelle, soziologische, ethnische u.a. Aspekte in den Blick . Analysiert wie Religionen als dominante und inferiore Systeme funktionieren. Das alles wird in diesem Kurs anhand der afrikanisch verwurzelten Religionen in den USA konkretisiert. Und natürlich hat man sofort das Thema von Rassismus mit drin.

Dass das Union eine Vorreiter-Rolle im interreligiösen Dialog hat, wusste ich, aber mir war nicht bewusst, wie dezidiert und umfassend sie diesen Ansatz vertreten – im gesamten Seminar-Alltag ist das prägend.

Beeindruckend sind für mich auch die Studierenden mit welcher Offenheit und Konzentration, Ernsthaftigkeit sie sich in die Seminar-Gespräche einbringen. Und immer wieder ihre persönlichen Erfahrungen mit dem Thema verbinden. Ich kann mich nicht erinnern, das in deutschen Universitäten erlebt zu haben.

New Yorker Gesichter: Max

Was macht New York so besonders? So lebendig und fesselnd? Einen grossen Anteil daran haben die New Yorker selbst und so kam mir die Idee, nach und nach einige der Menschen vorzustellen, die mir hier begegnen.

Ich sollte unbedingt mit Max beginnen, meinem Gastgeber – der für meinen Alltag im Moment eine grosse Rolle spielt und ein wichtiger Gesprächspartner für mich ist.

Zunächst einmal: Max ist ein sehr guter Koch und schmeisst hier den Haushalt im Apartment 21 b, während seine Frau im Moment die meiste Zeit in Arizona ist und ihren Vater versorgt (98 Jahre). Ausserdem spielt er Klavier und übt Mozart, während ich am Frühstückstisch sitze und meinen Blick über den Hudson schweifen lasse. Wunderbarer Einstieg in den Tag. (Zum Haushalt gehört ausserdem ein kleiner Hund – Pascal – dem ab und zu die Zähne geputzt werden. Macht das irgendjemand in Deutschland mit seinem Hund?)

Max ist 78 Jahre und Pfarrer im Ruhestand der United Church of Christ. Seine bewegte Lebensgeschichte beginnt in Indonesien/Jakarta.  Sein Vater,  erster Graduierter der theologischen Hochschule in Jakarta und Pfarrer einer Kirche dort, wird 1942 von den Japanern inhaftiert, weil er Widerstand gegen die japanischen Besatzung Indonesiens organisiert. 1944 wird er hingerichtet. Max ist damals 6 Jahre alt (er hat ein Bild von dem Baum, an dem sein Vater erhängt wurde).

1959 macht sich Max auf den Weg in die USA – 2 Monate unterwegs auf einem Frachter. 1970 wird er amerikanischer Staatsbürger.  Mit Tellerwäscherjobs u.ä. – ganz “klassisch” – finanziert er sein Theologie-Studium. Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit werden seine Lebensthemen. In den 60er Jahren arbeitet er in Wahl-Registrierungsprogrammen für African-Americans im Bundesstat Mississippi mit. Er fährt als Beobachter für Friedensdelegationen nach Honduras und Nicaragua, unterrichtet 3 Monate in Kuba am theologischen Seminar.  Aufgrund seiner Verbindungen über die Friedensarbeit bekommt er eine Stelle als Gemeindepastor in Kanada angeboten. 15 Jahre arbeitet er in 2 Gemeinden in Quebec.

1984 kehrt er nach New York zurück und arbeitet hier 15 Jahre als Pastor in einer African-American Gemeinde und als Social Worker und Seelsorger in einem Krankenhaus. Danach ist er für die UCC in ökumenischen, internationalen Zusammenhängen tätig; z.B als Repräsentant der UCC in Osttimor. Als er 2004 in den Ruhestand geht, nimmt er sich vor, das zu tun, was er immer schon tun wollte…. (und im Berufsalltag nicht zu kam…????). Über den ÖRK (Weltkirchenrat) engagiert er sich in Projekten in Palästina / Israel (lebt und arbeitet einige Zeit in Ramallah).

Soweit mal in aller Kürze und ausschnitthaft. Ich bin mir nicht sicher, ob ich alle Stationen und Aktivitäten erfasst habe. Sein Leitmotiv – ein Wort von Dr. Marin Luther King Jr.: “We are tied together in the single garment of destiny, caught in an inescapable network of mutuality. And whatever effects one directly affects all indirectly. I can never be what I ought to be until you are what you ought to be.” (Was auch immer einen von uns direkt betrifft, berührt uns alle anderen indirekt. Ich kann nicht sein, die/der ich sein sollte – bis auch du bist, wer du sein sollst.)

Auf die Frage, was er an NYC  liebt, antwortet er: ” Die Vielfalt der Menschen! All diese verschiedenen Leute – und sie sind alle New Yorker.”   Sorgen macht ihm, dass New York mehr und mehr eine Stadt wird, wo das Geld “prominent”, also massgeblich wird und nicht mehr die Menschen. Und nach und nach nur noch die Reichen das gute Leben in NYC  geniessen können.

Mit wem er mal eine Tasse Kaffee  trinken möchte? Da fällt ihm niemand ein. Er kennt einfach schon Gott und die Welt. Ist mit Dorothee Sölle befreundet gewesen, hat mit Obama und Prinzessin Diana gesprochen und Robert di Niro getroffen.

Habe ich erwähnt, dass er ein wunderbarer, unkomplizierter und sorgsamer Gastgeber ist?                                                                           Auf jeden Fall  ein wichtiges New Yorker Gesicht.

Organisatorisches

Immerhin ist es mir im Verlauf der Woche gelungen, einige Verwaltungsfragen zu klären. Ich bin registriert! Meine UTS Email-Adresse dauert noch 3-4 Tage, aber sie ist auf den Weg gebracht. Sie ist notwendig für alle interne Kommunikation und um eine Student ID zu bekommen (u.a. notwendig, um die Bibliothek nutzen zu können).

Ich habe es irgendwie aushandeln können, dass bei den Kursgebühren für mich eine “Ausnahme” gemacht wird. Für den ersten belegten Kurs muss ich 600, -$ zahlen, für alle weiteren belegten Kurse nur 150, – $. Regulär ist, dass für jeden belegten Kurs 600, -$ bezahlt werden muss   (und damit ist das Union noch günstig, wie mir gesagt wird), Mein entsetztes Gesicht hat die Dekanin anscheinend erweicht.

Nächste Woche schaue ich in verschiedene Kurse rein und entscheide, welche ich dann endgültig besuche. Bis zum 18.9. muss man sich für alle Kurse registriert haben. Leider findet ein spannendes Seminar zu Kirche und Gesellschaft, das ich gerne besuchen wollte, nicht statt, da der Lehrer im Krankenhaus ist.

Orientation days at the Union Theological Seminary

Intensives  Kennenlernen und Austauschen mit 79 anderen, neuen Studierenden. Eine unglaubliche Vielfalt an Menschen, Lebens-geschichten, Religionen und Denominationen. Nach einem halben Tag bin ich “completely wiped out”.

Aishe aus Düsseldorf, geboren in der Türkei, lebt nun seit 9 Jahren in NYC.  Sie ist Muslima, macht am UTS ihren “Master of Divinity”.  Simon aus Chile, früher Katholik; Wong, methodistischer Pfarrer aus Korea. Jermaine, in einer Pentecostal Church aufgewachsen, ist jetzt überzeugter Vertreter von non-denominational churches. Und natürlich ist der “interfaith chaplain” des UTS ein ehemaliger buddhistischer Mönch. Living Diversity!

All diese Gesichter und Gespräche schwirren mir durch den Kopf – da ist es leichter ein paar Bilder vom Gebäude ins Netz  zu stellen. 1836 gegründet, liegt der neue Campus des UTS seit 1908 -1910 am Broadway, 120th St. / Morningside Heights.

Hogwarts! Das UTS ist ein absolutes Labyrinth an Fluren, treppauf, treppab, Tunneln durch Kellergänge und abgelegenen Büroräumen in Türmen! Es wird eine Weile dauern, bis ich mich zurecht finde.  Es fehlen nur noch die schwebenden Kerzen in der social hall.

Sehr schön der Kirchraum, in dem viel mit unterschiedlichen Gottesdienstformen und Gestaltungselementen experimentiert wird. 😏  Sonntagnachmittag  gab es im grünen Innenhof  ein “cook-out” zum Semesterbeginn.

Die Räumlichkeiten des UTS werden immer wieder für Filmaufnahmen vermietet, – was für den Studienbetrieb eher schwierig ist, aber eine wichtige Einnahmequelle  fürs finanziell klamme UTS darstellt. Im vergangenen Jahr machte das UTS damit 400.000 $.

Zimmer mit Aussicht

Hier werde ich die nächsten Monate wohnen. Nachdem Lutz und Luis  Samstag zurückgeflogen sind, habe ich mein Quartier bei Max bezogen. Mein Zimmer ist grösser als erhofft und erwartet! Herrlich geräumig für New Yorker Verhältnisse.     (3×4 m)

21. Stock…. etwas gewöhnungsbedürftig für mich. Aber mit beeindruckendem Ausblick – auf den Hudson und Riverside Park. Das  “Union” ist um die Ecke, 5 min Fußweg.                                        Die U-Bahn kommt hier aus dem Tunnel und ist “gut” zu hören. 😨

Gehe nachher mit Max, meinem Gastgeber, zum Gottesdienst. “African American Church around the corner – to have something familiar.” Bin gespannt, wie “familiar” das für mich wird 😶.

Und noch eine Woche Ferien …….

…..an der Küste  Neuenglands – mit Pilgrim Fathers, Sonnenfinsternis, Stränden und weissen Haien – und klaren Worten.

“Mr. Trump’s behavior has been, frankly, out of control. He has far from proven himself worthy to lead this great and precious nation. …. I respect the office of the president, but not the man who occupies it….Therefore, should I ever find myself in the presence of Donald Trump, I will literally turn my back on him… The dignity of the office must be restored….”

Halbseitige  Anzeige in “The New York Times”, August 23rd          turnyourbacks.org