Kain und Abel

Der Predigttext für den heutigen Sonntag
steht im 1. Buch Mose, Kapitel 4, Verse 1-16.
Der Brudermord – ein paar Gedanken dazu.

(Der Gottesdienst zu dem Text heute war, glaube ich, sehr “streng”.)

Was ist das Ungeheuerliche an dieser Geschichte?
Für viele ist schon der Anfang der Geschichte schwer zu verdauen:
Gott, der das Opfer Abels gnädig ansieht,
aber Kain und sein Opfer sieht er nicht gnädig an.
Warum?

Kein Wort der Begründung oder Rechtfertigung.
Es ist einfach so.
So, wie im richtigen Leben, wie wir es auch kennen.
Es gibt Menschen, denen scheint alles zuzufallen
und andere kämpfen Tag für Tag und kommen auf keinen grünen Zweig.
Keiner kann erklären, warum das so ist.
Und das tut auch dieser Text nicht – erklären.
Er fragt nicht und hinterfragt nicht.
Sondern diese Realität – dass das Leben so unterschiedlich gelingt –
und das Leben einzelnen so Unterschiedliches zumutet –
und dass das manchmal einfach ungerecht ist,
das beschreibt der Text.
So ist das.
Ja, und wir stehen manchmal fassungslos davor:
Wie kann so etwas passieren?
Das hat der oder die wirklich nicht vedient.

Woran macht Kain die Missachtung Gottes fest?
Das wird in dieser Geschichte nicht erzählt.

 

Anhand einer Familiengeschichte erzählt dieser alte Text
das Drama der Menschheit.
Und allein das ist ja schon eine Entscheidung,
ein wichtiger, wesentlicher Gedanke:
Wir als Menschen sind eine große Familie.
Mein Nächster ist mein Bruder, meine Schwester
und nichtirgendein x-beliebiges Menschenwesen.

Der Text psychologisiert nicht.
Bietet keine Familienaufstellung an.
Interpretiert nicht Opferrollen und Eltern-Kind-Konflikte.
Aber der Text fragt danach:
Wie leben wir miteinander?
Es gibt Neid, Mißgunst,
Ungerechtigkeit.
Wie gehen wir dann miteinander um?
Und wie leben wir mit Schuld und Schuldig-Gewordenen unter uns weiter?

Zwei Sätze aus dieser Geschichte bewegen mich besonders:
Erstens: „Bin ich meines Bruders Hüter?“
und zweitens der Satz „Mein Strafe ist zu schwer, als dass ich sie tragen könnte.“

 

„Mein Strafe ist zu schwer, als dass ich sie tragen könnte.“
Was darf Kain noch von Gott erwarten?
Was darf Kain noch von Gott erwarten – als schuldig gewordener Mensch?

Gott verurteilt die Tat, den Brudermord,
nichts an Kains Schuld wird beschönigt.
Sie ist und bleibt Schuld.
Aber Kain, der hier jeden Menschen repräsentiert,
bleibt auch Gottes Menschen-Kind und erfährt seinen Schutz.
Er ist und bleibt vor Gott der angenommene Mensch.

Das Kainsmal wird sein Zeichen,
das er sich von Gott geschützt wissen kann.
Es ist kein Stigma.
Es ist vielleicht so etwas, wie eine eingebrannte Wunde.
Eine Wunde, die ihn erinnert und quält,
und die ihn wachsen und reifen lässt.
In dieser Ambivalenz lebt Kain weiter –
mit der Schuld und dem gewährten Schutz.
Und in dem Wissen, dass Gott ihn doch sieht – gnädig ansieht

Den gnädigen Gott finden wir nicht erst im Neuen Testament,
schon hier in dieser alten, brutalen Geschichte blitzt etwas auf von dem Gott,
der Leben und Schutz gewährt für den, der sich in Schuld verstrickt hat.

Wie leben wir miteinander?
„Bin ich meines Bruders Hüter?“ fragt Kain.
Und die Antwort lautet:
„Ja, Kain, das bist du.
Das wäre deine Aufgabe.“

Und das – ist auch unsere Aufgabe.

 

 

“Was macht, dass ich so fröhlich bin…”

Beim Urlaubsschlendern durch die sonnig-luftigen Gassen von Novigrad fällt mir ein Psalm von Hanns Dieter Hüsch ein:

“Ich bin vergnügt, erlöst, befreit, Gott nahm in seine Hände  –  meine Zeit,  – mein Fühlen, Denken, Hören, Sagen. Mein Triumphieren und Verzagen. Das Elend und die Zärtlichkeit.

Was macht, dass ich so fröhlich bin in meinem kleinen Reich. Ich sing und tanze her und hin vom Kindbett bis zur Leich.

Was macht, dass ich so furchtlos bin an vielen dunklen Tagen. Es kommt ein Geist in meinen Sinn, will mich durchs Leben tragen.

Was macht, dass ich so unbeschwert und mich kein Trübsinn hält. Weil mich mein Gott das Lachen lehrt – wohl über alle Welt.”