Der Herr ist mein Hirte

Frau L. liegt im Sterben.
Die Tochter hat mich angerufen und gebeten, vorbei zu kommen.
Wir sitzen am Bett.

Am Ende reichen Worte des Psalm 23
“Der Herr ist mein Hirte,
mir wird nichts mangeln,
und ob ich schon wanderte im finsteren Tal fürchte ich kein Unglück,
denn du bist bei mir.
Dein Stecken und Stab trösten mich….”

Ein Segen, die Hand auf den Kopf gelegt:
“Gott segne dich und behüte dich.
Gott behüte deinen Ausgang aus dieser Welt
und deinen Eingang in eine neue, unvergängliche Welt.”

Die Glocken läuten in der Nähe.
Es ist ein ganz friedlicher, entspannter Moment für uns alle.

 

Frau Althaus, was machen Sie eigentlich so den ganzen Tag?

Es hält sich ja hartnäckig die Vorstellung, dass Pfarrinnen und Pfarrer am Sonntagmorgen eine Predigt abliefern, für die sie sich die ganze Woche am Schreibtisch zurückgezogen haben  – und ansonsten ein gemächliches Leben führen. Immer mal wieder wagt es der ein oder andere, vorsichtig zu fragen, wie denn mein Arbeitsalltag so aussieht.

Gestern z.B. so:

9 Uhr: Treffen in der Kirche am Markt mit der Leiterin der Denkmalschutz-Behörde der Stadt Essen und dem Beauftragten unserer rheinischen Landeskirche zur Frage der Renovierung unserer Kirchdecke. Was würde genehmigt werden?  Welche Farbe darf der Deckenanstrich haben? – schließlich ist unsere Kirche denkmalgeschützt. Zarte goldene Streifen am Gesims? – Undenkbar.

10 Uhr: Treffen mit dem Vorsitzenden des Ortsvereins der SPD. Nutzung unserer Gemeinderäume für eine Veranstaltung, zu der die SPD einladen möchte. Geht das? Abwägen des Für und Wider. Als Kirchengemeinde bleiben wir parteipolitisch neutral, aber es gibt gesellschaftspolitische Themen, die wir unterstützen bzw. für die wir Aufmerksamkeit schaffen wollen – also einer entsprechenden Veranstaltung Raum geben würden.

11 Uhr: 90. Geburtstag von Frau K. , da ist ein Besuch fällig.

12.15 Uhr: Treffen mit dem Kinderkirchenteam.  Die nächste Kinderkirche im Mai  muß vorbereitet werden: welches Thema, welche biblische Geschichte nehmen wir? 18. Mai; zwei Tage später ist Pfingsten – also: wir feiern den Geburtstag der Kirche! Wer übernimmt was? Geburtstagskuchen, Geschenk für die Kirche mit den Kindern basteln. Wer holt die Blumen?

13.30 Uhr: Mittagspause. Nicht vergessen: E-mails checken und AB abhören.

16 Uhr: Treffen mit Herrn N. Er möchte in die evangelische Kirche eintreten.

18 Uhr: Traugespräch. Vorbereitung des Traugottesdienstes im Juni mit dem Brautpaar.

20 Uhr – Feierabend.  Ach ja, noch mal E-mails lesen und AB abhören.  😉

Gottesdienstvorbereitung

Ich mag den Prozess, wenn ein Gottesdienst entsteht und zusammenwächst.

Dieser Mix aus Assoziationen und systematischem Nachdenken, einen Bibeltext entdecken, gemeinsamer Kaffee und Austausch von Gedanken. Ein Gedicht dazu lesen. Eine Vielzahl Absprachen treffen, das Gesangbuch durchblättern und noch mal durchblättern. Am PC das Ganze in Form bringen.

Bin gespannt auf Sonntag!

 

Abkündigungen – oder: “church is what we create with each other”

Abkündigungen in unseren Gottesdiensten:
Kollektenzweck dieser Woche, Betrag der gesammelten Kollekte vergangener Woche, Veranstaltungshinweise, Titel der gespielten Musikstücke – liturgischer Verwaltungsakt.

Eine völlig andere Erfahrung habe ich mit “Abkündigungen” in New York  gemacht. Zum Beispiel in der Judson Memorial Church; dort heißen die Abkündigungen ” The heart of the Community”. Anfangs war mir das zuviel. Familiäres, Politisches, Aufrufe Aktionen zu unterstützen, schöne Erlebnisse und Not aus der vergangenen Woche. “Hilfe, wer will das alles wissen – und behalten.” Bis ich verstanden habe, wie sehr diese Zeit im Gottesdienst die Gemeinde bildet und verbindet.

Dazu eine schöne Geschichte; siehe der link und ein kleiner Ausschnitt daraus in Deutsch:
https://onbeing.org/blog/erin-white-church-is-what-we-create-with-each-other

“Ansagen sind ein wichtiger Teil des Lebens in einer kleinen Kirche. Am ersten Sonntag, an dem meine Frau und ich die Kirche besuchten, – die nun seit fünfzehn Jahren unsere Kirche ist- , erhob eine Frau ihre Hand für eine Ankündigung und als der Pfarrer sie aufrief, erhob sie sich, räusperte sich und sagte: “Heute morgen sah ich Gott in dem Gesicht eines Kätzchens. “Meine Frau sah mich ungläubig an. Sie war in der katholischen Kirche aufgewachsen, und die Vorstellung, dass ein Gemeindemitglied tatsächlich während eines Gottesdienstes sprechen würde – geschweige denn eine göttliche Katzenvision teilen -, war für sie unvorstellbar. Ich konnte ihr nicht in die Augen sehen, weil ich versuchte nicht zu lachen.
In der vorstädtischen Methodistenkirche meiner Kindheit war die einzige Person, die Ankündigungen machte, die Leiterin der christlichen Erziehung, eine kecke, schlanke Frau, die Hemdkleider und High Heels trug und die, wenn der Pfarrer sie aufrief, – in ihren hohen Absätzen den Mittelgang zum Altar joggte, um keine Zeit zu verschwenden. Es war eine Kirche, in der keine Zeit verschwendet wurde.

Unsere Gemeinde ist nicht wirklich besorgt, Zeit zu verschwenden. Und sie ist so klein, dass es keinen Grund gibt, nach vorne zu kommen, wenn man eine Ankündigung hat. Wir können Sie von überall hören, wo auch immer Sie im Heiligtum sitzen, einem weißen und sonnigen Raum, in dem Orchideen auf Fensterbänken sitzen und orientalische Teppiche an den Wänden hängen, um die Akustik zu verbessern. Und wenn dich jemand nicht hören kann, dann schreit er nur: “Sprich laut!”

Lange Zeit störten mich Ankündigungen. Ich dachte, sie hielten uns von dem ab, was wichtig ist , dass sie Alltagsgeschäft waren, Kleinkram, den man woanders erledigen kann. War es jetzt wirklich Zeit über Pfannkuchenfrühstücke und Breitbandnetze zu sprechen? Aber ich habe inzwischen verstanden, dass ja, jetzt ist es an der Zeit. Weil ich über viele Jahre gelernt habe, dass es in der Kirche nicht so sehr um Ordnung oder Ruhe oder Rituale geht, sondern vielmehr darum, etwas von sich zu zeigen. Sich selbst zeigen, und sich so verbinden mit Gott und den Menschen um dich herum, die fühlen müssen – genau wie du -, dass die Segnungen und Lasten, ein Mensch zu sein, nicht nur ihre eigenen sind. Manchmal empfinden wir diese Vereinigung von Seelen auf erhabene und offensichtliche Weise, wenn wir eine feurige Lesung von den Propheten oder den Psalmen hören oder gemeinsam singen. Und manchmal fühlen wir es, wenn jemand aufsteht und uns sagt, dass er nach einem neuen Holzofen sucht und bitte rufen Sie ihn an, wenn Sie etwas wissen, nicht zu teuer, nicht zu weit weg…..

Atempause- Radtouren

Treffpunkt Willy-Brandt Platz um 15 Uhr – mit 60 Radlern geht es los durch die Essener Innenstadt – immer schön im Verband fahren, damit alle über die Ampel kommen – durch Rellinghausen, Heisingen, entlang der Ruhr – Infos zu Zechen, Bergarbeiter-Siedlungen und Loren, die nicht so heißen. In der Kapelle von Schloß Baldeney bin ich dran, mit einer Andacht die Tour abzuschließen.

Schönes Konzept;
obwohl nicht unanstrengend im Pulk von 60 Leuten, 2-3 Stunden Rad zu fahren.

Besinnung: “Geh aus mein Herz und suche Freud…” So ein wunderbarer, sommerlicher Tag, es grünt und die Vögel zwitschern – und zeitgleich fällt einem Münster ein und der Horror, der gestern für viele diese Idylle von einem Moment auf den anderen zunichte gemacht hat. Wie bringen wir das zusammen? Das Schöne, Lebendige und den Hass, das Zerstörerische? Die Schöpfungserzählung in Genesis 1 betont immer wieder nach jedem einzelnen Tag: “Gott sah seine Schöpfung an und es war gut….” Das ist uns zur Zuversicht und Orientierung gesagt (nicht als naturwissenschaftliche Erklärung); wir müssen uns und die Welt nicht dem Bösen und der Sinnlosigkeit überlassen.

Dunkler Engel

Nach dem Familiengottesdienst am Ostersonntag bin ich mit dem Gefühl zurückgeblieben, dass etwas fehlte. – Auch wenn z.B die Engel der Liebe, der Gesundheit  oder der Leichtigkeit schwierige Erfahrungen angetippt haben, fehlte ein Ort in diesem Gottesdienst, wo Erfahrungen von Schmerz, Verlust und Tod sein konnten. Denn auch zu einem Familiengottesdienst kommen nicht nur Menschen in “happy clappy” Stimmung.

Es hätte auch ein dunkler Engel im Gottesdienst sein müssen – der Engel der Einsamkeit, des Schmerzes und des Verlustes. Der dort am Grab steht, die Frauen in ihrer Traurigkeit empfängt und mit ihnen ihren Schmerz aushält. Der keine einfache Antwort für sie hat, aber weiss: “Christus ist euch voraus”. Ihm hätten die sehr schweren und dunklen Steine zu Füssen gelegt werden können.

Diesen dunklen Engel habe ich heute in Aachen in der Citykirche entdeckt. (habe ein paar Urlaubstage)

“Kelim” (2015)  von Roland Mertens;

Ausgestellt zum Thema: Wo bleibt die Kunst, wenn das Land brennt?  (von Ana Sous)

“Während im Orient Dörfer und Städte zu Ruinen zerfallen und ganze Landstriche entvölkert wurden durch Bombenangriffe., den Terror islamistischer Milizen und die Interessenpolitik westlicher Mächte ….erreichen uns auch Nachrichten von der Zerstörung Jahrtausende alter Kulturschätze der Region. Doch welche Berechtigung hat die Frage nach der Kunst, wenn das Land brennt … und sich humanitäre Katastrophen abspielen?

Wie können sich Künstler mit diesen Verherrungen auseinandersetzen? Nicht Kriegsschauplätze und Flammeninfernos ….. zeigt Roland Mertens Gemälde, sondern einen einzelnen monumentalen Engel. Ruhig und versunken, mit einer fast verwunderten Aufmerksamkeit begutachtet er den Kelim in seinen Händen ….

Wer ist dieser Engel…… ? …ist er ein Geschöpf, der auf den Gang der Welt keinen Einfluss hat und – nachdem Krieg und Zerstörung die Menschen fortgenommen haben – der Einzige bleibt, der Gelegenheit hat zur Betrachtung von Kunst?”

Mein Oster-Gedicht

Ich sehe
den Himmel offen.
Ich spüre
die Kraft des Adlers.
Ich höre
milde Worte.
Ich gehe
auf neuen Wegen.
Ich teile sie
mit anderen.
Von Sonnenaufgang
bis Sonnenuntergang
singen sie
in unzähligen Sprachen
dein Lob,
feiern Auferstehung
rund um die Erde;
von Datumsgrenze
bis Datumsgrenze
feiern sie Gottesdienst.
Und ich gehöre dazu.

Grenzen sind gefallen.
Stürme haben sich verbraucht.
Fragen sind geklärt.
Dein gutes Wort ist angekommen.
Die Engel haben die Flügel abgelegt
und bleiben.

Du bist unsere
Zuversicht und Stärke.
Wir kehren um,
halten unsere Wunden
in dein Licht
und leben.

(von: Gerhard Engelsberger , “Von Achtsamkeit bis Zuversicht”,
Kreuz Verlag 2009, S. 212)